Sexualität und Demenz

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Sexualität und Demenz: Ein sensibles Thema, das viele Fragen aufwirft. In diesem Artikel tauchen wir ein in die verschiedenen Facetten von Sexualität und Demenz und beleuchten, wie wichtig es ist, dieses oft vernachlässigte Thema sensibel, respektvoll und mit einem Verständnis für die individuellen Bedürfnisse zu behandeln.

Demenz ist eine Erkrankung, die nicht nur die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt, sondern auch das gesamte Alltagsleben der Betroffenen und ihrer Angehörigen auf den Kopf stellt. Wenn Nervenzellen absterben und Gedächtnisstörungen sowie eine veränderte Wahrnehmung auftreten, wirkt sich dies im Besonderen auch auf das Verhalten aus. Das sexuelle Verhalten von Menschen mit Demenz stellt Partner:innen, Angehörige und Betreuungspersonal vor grosse Herausforderungen. Denn während das Gehirn als Kontrollzentrum für Gefühle und Verhalten fungiert, können bei einer Demenz genau diese Kontrollmechanismen versagen. Dies kann zu ungewöhnlichen und oft irritierenden Verhaltensweisen führen.

Die Lust verschwindet nicht mit der Diagnose

Doch auch wenn viele Fähigkeiten verloren gehen und die Persönlichkeit scheinbar verändert erscheint, bleiben Menschen mit Demenz dennoch Frauen und Männer mit individuellen Lebenswegen und sexuellen Erfahrungen und Bedürfnissen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Bedürfnis nach Intimität und Zärtlichkeit verschwinden nicht mit einer Demenzdiagnose. Vielmehr entwickeln sich die Bedürfnisse je nach Person, Demenzform und Krankheitsstadium unterschiedlich: Das sexuelle Verlangen kann schwinden, gleichbleiben oder sogar zunehmen. Im Verlauf der Demenz kann eine Enthemmung entstehen, die zu unangebrachtem Verhalten und Grenzüberschreitungen führt.

Was ist eine Demenz?

Demenz ist ein Oberbegriff für mehr als 100 Erkrankungen, welche die Funktionen des Gehirns beeinträchtigen. Besonders die geistigen, die sogenannten kognitiven Fähigkeiten, wie das Denken, das Gedächtnis, die Orientierung sowie die Sprache sind betroffen. Aus diesem Grund sind Menschen mit Demenz im Verlauf der Erkrankung mehr und mehr in ihren Aktivitäten eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. Hier ein Überblick über die häufigsten Formen der eine Demenz deren Ursachen unterschiedlich sind.

  • Morbus Alzheimer: Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz; etwa 60 Prozent der Menschen mit einer Demenz sind davon betroffen. Es gehen Nervenzellen verloren, weil Eiweissbestandteile (Proteine) in ihrer Hülle oder ihrem Innern fehlerhaft verarbeitet werden. Diese fehlerhaft verarbeiteten Proteine lagern sich zusammen und schädigen die Nervenzellen, was letztendlich zu einem Verlust einer grossen Zahl von Nervenzellen und einer Schrumpfung des Hirngewebes führt.Alzheimer beginnt mit leichter Vergesslichkeit, Problemen bei der Wortfindung, Stimmungsschwankungen, gefolgt von Störungen der Orientierung, des Denk- und Urteilsvermögens, bei Sprache und Ausdruck sowie Verlust der Einsicht in eigenes und fremdes Verhalten. In der Regel tritt Alzheimer nach dem 65. Lebensjahr auf; das Risiko daran zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter. Nur eine seltene, genetisch bedingte Form tritt schon in jüngerem Alter auf.
  • Vaskuläre Demenz: Bei einer vaskulären Demenz werden Teile des Gehirns nicht ausreichend Sauerstoff und tief liegende Regionen des Gehirns werden schlechter mit Blut versorgt. Dies führt zum Absterben von Nervenzellen, beeinträchtigt die Aufmerksamkeit und das Denkvermögen sowie verlangsamt die Informationsverarbeitung. Welche Symptome auftreten, hängt in erster Linie davon ab, welche Bereiche des Gehirns betroffen sind. Die Betroffenen erleben längere gleichförmige Phasen, gefolgt von sprunghaften Verschlechterungen. Die Verengung der Gefässe ist häufig eine Folge von Bluthochdruck.
  • Frontotemporale Demenz (FTD): Dies ist eine seltene Form der Demenz, die oft vor dem 60. Lebensjahr beginnt. Sie ist durch Veränderungen der Persönlichkeit, des sozialen Verhaltens und des Antriebs gekennzeichnet. Betroffene können unter Enthemmung, Distanzlosigkeit und einem Nachlassen der Emotionswahrnehmung leiden. Die Erkrankung wird oft erst spät erkannt, da Vergesslichkeit zu Beginn nicht auftritt.

Das verändert sich durch die Krankheit

Sexualität ist ein integraler Bestandteil der Persönlichkeit eines jeden Menschen, unabhängig davon, ob sie an Demenz leiden oder nicht. Sie umfasst nicht nur physische Handlungen, sondern auch Liebe, Zuneigung, Sinnlichkeit, Berührung und Vertrauen. Das Gehirn, unser wichtigstes Sexualorgan, steuert Gefühle und Verhalten, einschliesslich sexueller Fantasien. Wenn das Gehirn durch Demenz beeinträchtigt wird, können die Kontrollmechanismen für sexuelles Verhalten versagen.

Die Auswirkungen einer Demenzerkrankung auf die Sexualität variieren stark je nach Stadium und Typ der Krankheit sowie der jeweiligen Person:

  • Veränderung des sexuellen Interesses: Das sexuelle Interesse kann sich unterschiedlich entwickeln. Es kann abflachen, gleichbleiben oder sich sogar steigern.
  • Einschränkung des Einfühlungsvermögens: Mit dem Fortschreiten der Demenz, insbesondere bei frontotemporaler Demenz, kann das Einfühlungsvermögen beeinträchtigt werden. Betroffene können rücksichtsloser gegenüber anderen werden und ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen.
  • Verlust des Gedächtnisses für soziale und moralische Verhaltensnormen: Im Verlauf der Demenz gehen Erinnerungen an erlerntes Verhalten verloren, was dazu führen kann, dass unangepasstes Verhalten in der Öffentlichkeit auftritt.
  • Fehlendes Schamgefühl: Das Schamgefühl kann im Verlauf der Demenz abnehmen, was sich ebenfalls auf das Verhalten auswirkt.
  • Beeinträchtigung der zeitlichen Orientierung: Viele Menschen mit Demenz leben vor allem in der Vergangenheit und nehmen diese als unmittelbare Realität wahr. Sie erleben sich oft als jung und erkennen möglicherweise ihre Partner oder Angehörigen nicht mehr.
  • Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens: Demenzformen beeinflussen das Denken und die Wahrnehmung. Betroffene verstehen möglicherweise nicht mehr, warum ihnen bei der Intimpflege geholfen wird, und können sich sexuell bedroht oder stimuliert fühlen. Auch das Erfassen von Aussagen wird schwierig.
  • Auftreten von Halluzinationen: Bei einigen Demenzformen können Halluzinationen auftreten, die sich durch falsche Anschuldigungen, Ängste oder Eifersuchtsszenen äussern können.
  • Enthemmung: Insbesondere bei Menschen mit frontotemporaler Demenz kann eine Verminderung der Selbstkontrolle zu Enthemmung führen. Die Einsicht in und Kenntnis von sozialen Regeln (auch im sexuellen Umgang) gehen verloren.
  • Nebenwirkungen von Medikamenten: Unabhängig von der Demenz können Nebenwirkungen von Medikamenten das sexuelle Verhalten beeinträchtigen, mindern oder verstärken.

Demenzkranke verstehen Grenzen oft nicht

Es kommt vor, dass Menschen mit Demenz nicht verstehen, wenn ihr Gegenüber keine sexuelle Handlung möchte. In manchen Fällen wird Sex oder eine sexuelle Handlung nachdrücklich und grenzverletzend eingefordert, sogar mit Gewalt. Für Angehörige stellt dies eine äusserst schwierige Situation dar. Sie versuchen vielleicht, diese Forderungen zu ignorieren oder entschieden zurückzuweisen. Doch dies kann den Konflikt oft verschärfen, da eine Zurückweisung von Menschen mit Demenz missverstanden werden kann. Sie geraten möglicherweise in Panik und finden nur durch behutsames und verständnisvolles Verhalten des Gegenübers wieder zurück.

Unpassende Annäherungsversuche

Menschen mit Demenz können zeitlich desorientiert sein und Personen in ihrem Umfeld verwechseln. Es ist wichtig, deutlich zu kommunizieren, wenn man sich unwohl fühlt. Treten Sie einen Schritt zurück und verlassen Sie möglicherweise das Zimmer, kehren Sie aber später wieder zurück. Wenn Ihr erkrankter Vater oder Ehemann mit einer anderen Heimbewohnerin Zärtlichkeiten austauscht, bedeutet das nicht, dass er Sie nicht mehr liebt, sondern, dass er durch die krankheitsbedingte Desorientierung und Einsamkeit menschliche Nähe sucht.

Entblössung in der Öffentlichkeit

Verwirrte Menschen können sich auch in der Öffentlichkeit entkleiden oder fremden Personen zu nahekommen. Dies muss nicht unbedingt sexuell motiviert sein. Oftmals ziehen sie sich aus, weil sie zur Toilette müssen oder es ihnen zu warm ist. In solchen Situationen ist es wichtig, der Person zu helfen, sich wieder anzuziehen, sie zur Toilette zu begleiten oder ihr etwas zum Halten in die Hand zu geben.

Hilfe und Unterstützung suchen

Niemand, auch kein:e Partner:in von Menschen mit Demenz, muss sexuelle Übergriffe akzeptieren oder ertragen. Angehörige und Betroffene sollten sich daher direkt Unterstützung und Rat von aussen holen, sei es durch spezialisierte Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder die auf Demenz spezialisierte Ärztin oder Arzt. Gemeinsam können Lösungsansätze besprochen werden. Manchmal kann eine verstärkte Animation zur Selbstbefriedigung helfen, in anderen Fällen ist der Einsatz einer Sexualbegleitung der richtige Weg. Sexuell herausforderndes Verhalten kann für Angehörige sehr belastend sein, daher sollten sie nach Entlastungsmöglichkeiten suchen, zum Beispiel durch stundenweise Tagespflege oder Kurzzeitpflege. In einigen Fällen kann auch gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt über eine medikamentöse Behandlung nachgedacht werden. Der Einsatz von Medikamenten sollte jedoch sorgfältig geprüft werden, da starke Nebenwirkungen auftreten können.

Was Angehörige und Betreuende tun können

Kein Mensch mit Demenz ist wie der andere, daher gibt es keine universellen Lösungen im Umgang mit ihnen. Es ist jedoch entscheidend, Erfahrungen zwischen Angehörigen und Fachleuten auszutauschen. Grundsätzlich sollten Sie keine Vorwürfe machen, sondern klar und ruhig reagieren, da das Verhalten meist demenzbedingt ist. Versuchen Sie, die jeweilige Situation zu verstehen und zu erkennen, was den Betroffenen antreibt. Stellen Sie sich Fragen wie: Fühlt sich die Person einsam oder unbeachtet? Zeigt sie einen Wunsch nach Nähe oder Berührung? Könnten bestimmte Umstände das Verhalten ausgelöst haben? Beeinflussen Medikamente das Verhalten? Es ist auch wichtig, Gespräche mit dem erkrankten Menschen zu führen, ohne Warum-Fragen zu stellen, sondern solche, die leicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind.

Diese Strategien werden empfohlen

Alzheimer Schweiz empfiehlt zwei Strategien: Erkennen Sie die Gründe für das unangemessene Verhalten und vermeiden Sie solche Auslöser. Bieten Sie eine neue Aktivität an, um eine kurze Ablenkung zu schaffen, wie gemeinsames Spielen oder das Anbieten von etwas zu Trinken. Da Menschen mit Demenz Schwierigkeiten haben, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, kann das unerwünschte Verhalten durch eine andere Tätigkeit abgelöst werden.

Ein ermutigender Ausblick

Es mag herausfordernd erscheinen, sich mit den sexuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz auseinanderzusetzen, aber es ist von entscheidender Bedeutung, dies zu tun. Durch eine sensibilisierte und einfühlsame Herangehensweise können wir nicht nur das Wohlbefinden der Betroffenen verbessern, sondern auch ihre Lebensqualität erheblich steigern.

Indem wir uns ihrer Bedürfnisse bewusstwerden und Wege finden, ihnen gerecht zu werden, können wir dazu beitragen, dass sie sich gesehen, gehört und respektiert fühlen. Es geht darum, ihre Würde und Autonomie zu wahren, auch in Bezug auf ihre Sexualität.

Darüber hinaus kann die Auseinandersetzung mit den sexuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz dazu beitragen, Tabus und Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Es eröffnet die Möglichkeit, über dieses wichtige Thema offen zu sprechen und die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse und Rechte von ihnen zu lenken. Indem wir uns als Gesellschaft dieser Thematik stellen und angemessene Unterstützung bieten, tragen wir dazu bei, eine Kultur der Akzeptanz, Empathie und Inklusion zu fördern.

Letztendlich können wir durch die Auseinandersetzung mit den sexuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz dazu beitragen, eine Welt zu schaffen, in der jeder Mensch – unabhängig von seinem Gesundheitszustand – das Recht hat, seine Sexualität in einem sicheren und respektvollen Umfeld auszuleben. Es ist eine Gelegenheit, Mitgefühl und Menschlichkeit zu zeigen und die Lebensqualität für alle Beteiligten zu verbessern.

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