Viele ältere Menschen nehmen Medikamente, die nicht für sie geeignet sind, was zu gesundheitlichen Risiken führen kann. In diesem Artikel erfahren Sie, warum die richtige Medikation im Alter entscheidend ist und wie Angehörige dabei helfen können, potenzielle Probleme zu vermeiden.
Das Alter bringt oft gesundheitliche Beschwerden mit sich, die eine regelmässige Einnahme von Medikamenten erfordern. Gerade bei Senior:innen kann es vorkommen, dass verschiedene Medikamente für verschiedene Beschwerden eingenommen werden müssen. Ein Medikamentenmix, der problematisch sein kann. Eine erhöhte Anfälligkeit für Nebenwirkungen und das Risiko von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Präparaten führen dazu, dass viele ältere Menschen unter ihren Medikamenten leiden, anstatt von ihnen zu profitieren.
Altersbedingte Veränderungen im Körper: Warum Medikamente stärker wirken
Die Veränderung des menschlichen Körpers im Alter hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten: Die Nieren arbeiten langsamer und scheiden Arzneimittel nicht mehr so schnell aus, wodurch diese länger im Körper bleiben und ihre Wirkung verstärken. Typische Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit oder Gedächtnisprobleme sind oft die Folge. Diese Symptome können leicht mit altersbedingten Beschwerden verwechselt werden, was dazu führt, dass das wahre Problem – die Medikamente – übersehen wird.
Ärzte sollten daher nach dem Prinzip «Start low, go slow» verfahren: Das bedeutet, dass die Therapie mit niedrigen Dosen begonnen und dann langsam gesteigert werden sollte, um die Belastung für den Körper so gering wie möglich zu halten. Oft reicht im Alter bereits die halbe Erwachsenendosis aus.
Polypharmazie: Wenn zu viele Medikamente gefährlich werden
Die Einnahme mehrerer Medikamente gleichzeitig, die sogenannte Polypharmazie, ist im Alter weit verbreitet. Studien zeigen, dass gut ein Drittel der Senior:innen fünf oder mehr Medikamente täglich einnimmt. Eine Studie von Prof. Dr. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Pharmakologie am Universitätsklinikum Wuppertal, verdeutlicht ein gravierendes Problem bei der Arzneimitteltherapie älterer Menschen. Die Untersuchung analysierte über 150‘000 Senior:innen nach Krankenhausaufenthalten und zeigte, dass rund 30 Prozent der älteren Patient:innen nach der Entlassung mindestens ein Medikament einnahmen, das für sie potenziell unangemessen war. Noch alarmierender ist, dass 70 Prozent der Patient:innen Medikamente zu lange oder in zu hoher Dosis erhielten. Dies führte häufig zu schwerwiegenden Nebenwirkungen, die im Beipackzettel nicht speziell für ältere Menschen ausgewiesen sind.
Ein Beispiel ist die Kombination von Schmerzmitteln wie Diclofenac oder Ibuprofen mit Blutverdünnern, die oft zur Vorbeugung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen verordnet werden. Diese Kombination kann das Risiko für Magenblutungen drastisch erhöhen. Solche Wechselwirkungen sind oft schwer zu erkennen und werden von Patient:innen oder Ärzten nicht immer beachtet.
Tipps für den sicheren Umgang mit Medikamenten im Alter
1. Medikamentenliste führen: Ältere Menschen sollten alle eingenommenen Medikamente, inklusive rezeptfreier Präparate, in einer Liste dokumentieren. Diese Liste sollte regelmässig aktualisiert und dem Hausarzt vorgelegt werden.
2. Jährlicher Medikamentencheck: Der Hausarzt oder die Hausärztin sollte mindestens einmal im Jahr überprüfen, ob alle Medikamente noch notwendig sind und ob es potenzielle Wechselwirkungen gibt.
3. Auf Nebenwirkungen achten: Falls nach der Einnahme neuer Medikamente Symptome wie Schwindel, Verwirrtheit oder Stürze auftreten, sollte sofort der Arzt oder die Ärztin konsultiert werden.
4. Vorsicht beim Teilen von Tabletten: Um Dosierungsfehler zu vermeiden, sollte das Teilen von Tabletten möglichst vermieden werden. Falls notwendig, sollte ein Tablettenteiler verwendet werden.
Fehlende Kommunikation und Aufklärung
Ein weiteres grosses Problem ist die mangelnde Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheker:innen und Patient:innen. Laut einer Umfrage gaben nur 56 Prozent der Befragten an, dass ihr Hausarzt oder ihre Hausärztin in den letzten zwölf Monaten mit ihnen über ihre Medikamente gesprochen habe. Dabei ist ein regelmässiger Medikamentencheck gerade bei älteren Patient:innen unerlässlich, um Wechselwirkungen zu vermeiden und unnötige Präparate abzusetzen.
Auch die Apotheken spielen eine wichtige Rolle. Nur 19 Prozent der Umfrageteilnehmenden wurden in der Apotheke über Wechselwirkungen informiert, als sie ein neues Medikament erhielten. Dabei könnten Apotheker:innen durch eine einfache Überprüfung der bestehenden Medikation viele Probleme frühzeitig erkennen.
Psychopharmaka und Demenz
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie von Prof. Dr. Petra Thürmann betraf den übermässigen Einsatz von Psychopharmaka bei Senior:innen. Medikamente gegen Angstzustände, wie Benzodiazepine, können ältere Menschen verwirrt und vergesslich machen, was oft fälschlicherweise dem natürlichen Alterungsprozess zugeschrieben wird.
Besonders in Pflegeeinrichtungen ist der Einsatz von Psychopharmaka bei Demenzpatient:innen weit verbreitet – oft um forderndes oder aggressives Verhalten zu dämpfen. Hier könnte auch ein gezielterer Einsatz von nicht-medikamentösen Therapien, wie zum Beispiel Tanz-, Musik- oder Tiertherapie, helfen. Aufgrund von Zeitmangel im Pflegealltag sind solche Ansätze teilweise aber schwer umsetzbar.
Die Priscus-Liste: Warnung vor gefährlichen Medikamenten im Alter
Besonders problematisch für ältere Menschen sind Medikamente, die auf der sogenannten Priscus-Liste stehen. Diese Liste, die 2010 von deutschen Forscher:innen veröffentlicht wurde, umfasst 83 Wirkstoffe, die für Senior:innen ungeeignet sind oder besondere Risiken bergen. Die Priscus-Liste hilft dabei, Alternativen zu problematischen Medikamenten zu finden oder Schutzmassnahmen zu ergreifen, wenn deren Einnahme unvermeidbar ist.
Schlaf- und Beruhigungsmedikamente
Zu den Medikamenten, die auf der Priscus-Liste besonders häufig auftauchen, gehören Schlaf- und Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine und sogenannte Z-Drugs. Diese Präparate werden oft zur Behandlung von Schlafstörungen oder Angstzuständen eingesetzt, führen jedoch bei älteren Menschen häufig zu Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit und einem erhöhten Sturzrisiko. Aus diesem Grund sollten sie nur kurzfristig verordnet und bei längerer Einnahme schrittweise abgesetzt werden.
Wichtiger Hinweis: Die Priscus-Liste ist nicht als absolut verbindliches Regelwerk zu verstehen, sondern dient vielmehr als Orientierungshilfe. Ärzte müssen stets eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen, um sicherzustellen, dass die gewählte Medikation optimal auf die Bedürfnisse des oder der Patient:in abgestimmt ist.
Priscus-Liste: Download und Projektpartner:innen
Interessierte Personen und Fachkräfte können die vollständige Priscus-Liste 2.0 mit allen 177 Wirkstoffen auf der offiziellen Website www.priscus2-0.de herunterladen. Das Projekt zur Aktualisierung der Priscus-Liste wurde von mehreren renommierten Institutionen getragen, darunter:
- Der Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie der Universität Witten/Herdecke
- Das Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke
- Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO)
- Die Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin der Medizinischen Universität Wien
Die Rolle der Angehörigen
Angehörige nehmen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung älterer Menschen ein, insbesondere nach Krankenhausaufenthalten. So sollten diese beispielsweise beim Entlassungsgespräch im Krankenhaus anwesend sein und sich den Medikationsplan sowie mögliche Nebenwirkungen und Absetzpläne genau erklären zu lassen. Angehörige sollten aktiv hinterfragen, ob alle verordneten Medikamente noch notwendig sind. Auch nach der Rückkehr nach Hause ist es wichtig, den Gesundheitszustand der älteren Person zu beobachten und in regelmässigen Abständen die Medikation gemeinsam mit der Hausärztin oder dem Hausarzt zu überprüfen.
Achtsamkeit bei der Medikation im Alter
Medikamente können im Alter eine wichtige Hilfe sein, bergen jedoch auch erhebliche Risiken. Senior:innen, ihre Angehörigen und das medizinische Personal müssen gemeinsam sicherstellen, dass Medikamente verantwortungsvoll eingesetzt werden. Regelmässige Überprüfungen der Medikation, die Vermeidung unnötiger Präparate und eine enge Kommunikation zwischen Ärzten und Apotheker:innenn können helfen, die Risiken zu minimieren. Die Priscus-Liste bietet eine wertvolle Orientierung, um Medikamente auszuwählen, die für ältere Menschen verträglicher sind. Letztlich gilt: Weniger ist oft mehr – und gerade im Alter sollte jede Tablette mit Bedacht gewählt werden.
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