Ageismus in der Schweiz: Altersdiskriminierung ein unterschätztes gesellschaftliches Problem

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Wenn wir an Diskriminierung denken, kommen uns oft sofort Themen wie Rassismus oder Sexismus in den Sinn. Doch es gibt eine Form der Diskriminierung, die häufig übersehen wird: Ageismus, auch Altersdiskriminierung genannt. In der Schweiz ist diese Art der Benachteiligung weit verbreitet, auch wenn sie oft nicht direkt erkennbar ist.

Obwohl der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Alters gesetzlich verankert ist, sind Vorurteile und Stereotype gegenüber älteren Menschen allgegenwärtig und beeinflussen sowohl das gesellschaftliche Bild als auch das persönliche Selbstwertgefühl der Betroffenen.

Was fällt unter Altersdiskriminierung?

Ageismus bedeutet, dass Menschen aufgrund ihres Alters benachteiligt oder herabgewürdigt werden. Das kann sowohl junge als auch ältere Menschen betreffen, trifft aber in der Praxis meist Senior:innen. Ältere Menschen werden oft als schwach, stur oder nicht mehr lernfähig dargestellt. Diese Vorurteile beeinflussen, wie sie in der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden. Während der Begriff Altersdiskriminierung häufig mit offenen Benachteiligungen assoziiert wird, bezieht Ageismus mit ein, wie wir innerhalb einer Gesellschaft denken (Stereotypen) und wie wir fühlen (Vorurteile).

Eine globale Herausforderung

Ageismus ist ein weit verbreitetes Phänomen von globaler Tragweite. Laut der WHO haben weltweit etwa die Hälfte der Menschen altersfeindliche Einstellungen gegenüber älteren Menschen. Besonders alarmierend ist, dass in Europa ein Drittel der Befragten angibt, bereits selbst von Ageismus betroffen gewesen zu sein.

Medizinische Folgen sind gravierend

Ageismus dringt in viele gesellschaftliche Bereiche ein, darunter das Rechtssystem, die Medien sowie die Gesundheits- und Sozialfürsorge. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Gesundheitsversorgung, wo Alter oft darüber entscheidet, welche Behandlungen und Pflegemassnahmen älteren Menschen zugestanden werden. Studien zeigen, dass in vielen Fällen das Alter der Patient:innen darüber entscheidet, ob lebenserhaltende Massnahmen wie Beatmungsgeräte, Operationen oder Dialyse eingesetzt werden. Zum Beispiel wurde festgestellt, dass mit jedem Lebensjahrzehnt die Wahrscheinlichkeit, keine Beatmungsgeräte zu erhalten, um 15 Prozent steigt.

Persönliche und gesellschaftliche Folgen von Ageismus

Diskriminierung am Arbeitsplatz

Ageismus hat gravierende Folgen für die Betroffenen sowie die Gesellschaft insgesamt. Besonders im Arbeitsleben sind ältere Menschen oft benachteiligt. Sie haben Schwierigkeiten, neue Jobs oder Weiterbildungsmöglichkeiten zu finden, weil sie als weniger leistungsfähig angesehen werden. Dies  führt dazu, dass viele ältere Arbeitnehmer frühzeitig in den Ruhestand gehen, obwohl sie noch voll arbeitsfähig wären. Das ist nicht nur ein persönlicher Verlust für die Betroffenen, sondern auch ein wirtschaftlicher Nachteil für die Gesellschaft.

Grafik die zeigt, dass Menschen ab 60 nicht mehr im Arbeitsleben erwünscht sind.

Ältere Menschen werden in der Lebensgestaltung eingeschränkt

Aber die Auswirkungen gehen weit über den Arbeitsplatz hinaus. So haben ältere Menschen oft Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, weil Vermieter der Meinung sind, es lohne sich nicht mehr, an sie zu vermieten. Zudem bekommen sie wegen ihres Alters keine Kredite oder werden aufgrund von Altersgrenzen von ehrenamtlichen Tätigkeiten ausgeschlossen. Dies steht im deutlichen Widerspruch zu der Realität: Viele ältere Menschen sind äusserst aktiv und bereit, Neues auszuprobieren, doch ihnen werden die Möglichkeiten dazu verwehrt.

Auch gesundheitliche Folgen sind zu fürchten

Die Auswirkungen von Ageismus sind gravierend und reichen weit über persönliche Erfahrungen hinaus. Die WHO betont, dass Ageismus ernsthafte Konsequenzen für die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Menschenrechte hat und die Gesellschaft mehrere Milliarden Dollar kostet. Geschätzte 6,3 Millionen Depressionserkrankungen weltweit lassen sich auf Ageismus zurückführen. Ältere Menschen leiden infolge von Altersdiskriminierung unter schlechterer Gesundheit und Lebensqualität, sozialer Isolation, Einsamkeit, finanzieller Unsicherheit und haben ein erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Tod. Die Auswirkungen auf jüngere Menschen sind bisher noch wenig erforscht, könnten aber Arbeitsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung und Wohnverhältnisse beeinträchtigen.

Die Diskriminierung des zukünftigen Selbst

Mit unseren heutigen Einstellungen schaffen wir die Diskriminierung, der wir in der Zukunft selbst zum Opfer fallen könnten. Prof. Dr. Andreas Kruse, Gerontologe sowie verantwortlicher Autor der Altenberichte des Deutschen Bundestags, erklärt: «Im Laufe der Jahre entwickeln sich unsere Stereotype weiter, sie stärken und mutieren. An einem bestimmten Punkt, wenn wir selbst alt werden, übernehmen wir die gleichen Vorurteile über uns selbst.» Dies zeigt, wie tief diese Vorurteile in unserer Gesellschaft verwurzelt sind und wie wichtig es ist, jetzt etwas dagegen zu unternehmen.

Grafik die dazu aufruft Altersdiskriminierung zu stoppen

Was können wir tun?

Ins Bewusstsein bringen

Um Ageismus zu bekämpfen, müssen wir zunächst das Bewusstsein dafür schärfen. Junge Menschen sollten lernen, die Stärken und Erfahrungen der älteren Generation zu schätzen. Programme, die den Austausch zwischen Jung und Alt fördern, können dabei helfen. Tatjana Chicherio, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie, fordert zudem gezielte politische Massnahmen, um Altersdiskriminierung entgegenzuwirken und die positiven Aspekte des Alterns stärker hervorzuheben.

Generationenaustausch fördern

Ein intensiverer Austausch zwischen den Generationen bringt viele Vorteile mit sich. Ältere Menschen können ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben, während jüngere Menschen neue Perspektiven und Technologien einbringen können. Dieser gegenseitige Lernprozess stärkt das soziale Gefüge und fördert die gesellschaftliche Teilhabe aller Altersgruppen.

Es liegt an uns allen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen jeden Alters respektiert und wertgeschätzt werden. Nur so können wir sicherstellen, dass wir selbst einmal ohne Vorurteile und Benachteiligungen alt werden können.

Positivbeispiele: Es geht auch anders

Es gibt bereits vielversprechende Ansätze und Projekte, die zeigen, wie ein Umdenken möglich ist. In einigen Städten und Gemeinden haben generationenübergreifende Projekte dazu beigetragen, das Miteinander zu stärken und Vorurteile abzubauen. Diese Initiativen sind wichtige Bausteine auf dem Weg zu einer inklusiveren Gesellschaft, in der Menschen jeden Alters wertgeschätzt und respektiert werden.

Eine Forschergruppe um Prof. Christian Maggiori, Professor an der Universität für Soziale Arbeit in Fribourg, HETS-FR, setzt sich beispielsweise dafür ein, Kinder frühzeitig für die Problematik der Altersdiskriminierung zu sensibilisieren. Durch gezielte Programme in Grundschulen sollen Kinder lernen, ein realistisches und positives Bild von älteren Menschen zu entwickeln. Studien zeigen, dass Vorurteile, die in jungen Jahren geprägt werden, im Erwachsenenalter schwer zu ändern sind. Daher ist die frühzeitige Erziehung ein wichtiger Ansatzpunkt.

Ein lohnender Kampf

Altersdiskriminierung ist ein weit verbreitetes Problem, das dringend mehr Aufmerksamkeit benötigt. Durch gezielte Massnahmen und einen offenen Dialog zwischen den Generationen können negative Stereotype und Vorurteile abgebaut werden. Indem wir Ageismus bekämpfen, schaffen wir nicht nur eine gerechtere Gesellschaft, sondern auch eine Zukunft, in der das Altern als natürlicher und wertvoller Teil des Lebens anerkannt wird.

(SR)

 

2 Comments

  1. Ich stelle leider fest, dass alte Menschen auch durch die fortschreitende Digitalisierung immer mehr durch die Maschen fallen. Viele sind mit den Bankomaten oder den Billett Automaten überfordert.
    Vieles ist nur noch machbar, wenn man einen Computer besitzt.
    Die normalen Telefonbücher gibt es nicht mehr. Sogar die Handys die speziell für alte Menschen gemacht wurden, sind zum Teil noch eine grosse Herausforderung. Die Kommunikation wird immer schwieriger. Wenn ich das so mitbekomme, macht mir das Alter Angst. Ich weiss ja nicht, was dann mit mir einmal passiert. Altersdiskriminierung ist ein wichtiges und dringendes Thema!

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    • Liebe Monika
      Vielen Dank für Ihren wertvollen Kommentar! Die zunehmende Digitalisierung ist tatsächlich eine Herausforderung für viele Menschen. Wir nehmen Ihren Kommentar sehr gerne als Gedankenanstoss für zukünftige Themen oder Inhalte.
      Herzlich, Adullam-Redaktion

      Reply

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