Soziale Isolation: Eine Gefahr für Hirn und Seele | silberFuchs

Soziale Isolation: Eine Gefahr für Hirn und Seele

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Die Verbindung mit anderen hat früher unser Überleben gesichert und machte den Menschen zu einem sozialen Wesen. Ein Urbedürfnis, dass uns bis heute begleitet und fatale Folgen haben kann, wenn es nicht genährt wird. Denn soziale Isolation lässt das Gehirn schneller altern – und erhöht das Demenzrisiko.

Einsamkeit ist ein Signal des Körpers, genauso wie Hunger oder Durst, das uns auf unsere sozialen Bedürfnisse aufmerksam macht. Denn vor Millionen von Jahren war es überlebenswichtig, dass man sich einer Gruppe anschloss und ein Alleingang war praktisch der sichere Tod. Dies hatte zur Folge, dass sich das Gehirn an soziale Kontakte anpasste: Es wurde empfänglicher für Gefühle und Gedanken anderer und lernte, soziale Beziehungen einzugehen. Eine Fähigkeit, die wir bis heute haben – und auch brauchen.

Einsamkeit bezeichnet das subjektive Gefühl, alleine zu sein. Soziale Isolation hingegen ist der objektive Fakt, dass soziale Beziehungen fehlen. Schädlich für das Gehirn ist beides. Denn sowohl das subjektive Gefühl der Einsamkeit, als auch der faktische Mangel an sozialen Kontakten schaden unserem Gehirn und erhöhen das Demenzrisiko.

Das Gehirn kann unterschiedlich schnell altern

Die Effekte von sozialer Isolation auf unser Gehirn hat die Biologin Veronica Witte vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig untersucht. Mit ihrem Team untersuchte Witte die Auswirkung von sozialer Isolation auf die graue Hirnsubstanz. Diese steuert alle Hirnfunktionen und sämtliche Funktionen des zentralen Nervensystems. Dafür haben Veronica Witte und ihr Team rund 1’400 per Zufall eruierte Menschen zu einer mehrtägigen Untersuchung eingeladen. Die Forschenden haben MRT-Aufnahmen des Gehirns gemacht und geistige Tests durchgeführt. Auch befragten sie die Teilnehmenden nach ihrer medizinischen Vorgeschichte, um Vor- und Grunderkrankungen auszuschliessen.

Die Studie zeigte, dass bei Menschen ab 50 Jahren, die wenig oder gar keine sozialen Kontakte haben, die graue Hirnstruktur im Zeitverlauf stärker abnimmt als bei Menschen mit vielen Kontakten. Das ist deshalb fatal, weil die Gehirnstrukturen mit zunehmendem Alter schon allein aufgrund des Älterwerdens schrumpfen. Durch soziale Isolation wird dieser Prozess beschleunigt und das Gehirn altert somit schneller als bei Menschen, die viele soziale Kontakte haben.

Über sich und andere nachdenken

Soziale Isolation lässt nicht nur das Gehirn schneller altern, sondern hat auch einen Einfluss auf die Hirnaktivität. In einer Studie von 2020 analysierten Andrea Courtney (Universität Stanford) und Meghan Meyer (Dartmouth College) die Hirnaktivitäten von 43 Männern und Frauen, währenddem diese über sich selbst, über enge Freunde und über prominente Personen nachdachten. Und das Ergebnis ist erstaunlich: Normalerweise werden beim Nachdenken über sich selbst andere Aktivitätenmuster im Gehirn aktiviert, als wenn man über andere Menschen nachdenkt. Je enger jedoch eine Beziehung zu einer Person ist, desto ähnlicher wird das Muster demjenigen, dass bei der Selbstreflexion aktiv ist.

Das bedeutet also, dass unser Gehirn Informationen über soziale Kategorien und über die Verbundenheit mit uns selbst unterhält. Eine chronische soziale Isolation führt demnach zu einer «einsameren Selbstrepräsentation».

Soziale Isolation vermindert unsere Hirnaktivität. Dadurch altert unser Gehirn schneller und das Demenzrisiko steigt.

Soziale Isolation als Risikofaktor für Demenz

Soziale Isolation beeinflusst nicht nur das Denken über uns Selbst und andere, sie hat auch einen erheblichen Einfluss auf die (Nicht-) Entwicklung einer Demenz. Forschungen haben gezeigt, dass soziale Isolation und Kontaktmangel zu einem Schwund der grauen Hirnsubstanz führen. Verändert sich die Gehirnstruktur, verändert sich auch die geistige Leistung. Zum Beispiel, wie wir uns Dinge merken können oder wie unsere Wahrnehmung, unsere Orientierung oder unser Sprachvermögen ist. Einsamkeit und Isolation führen zu Schlafstörungen, Stress, einem schwächeren Immunsystem und, das zeigen Forschungen, auch zu einer geringeren Hirnaktivität. Einsamkeit erhöht somit das Demenzrisiko.

In einer Studie von 2022 werteten Chun Shen von der Fundan Universität (China) und sein Team Daten von über 460’000 Personen aus, die an einer zwölf Jahre dauernden Untersuchung teilnahmen. Die Testpersonen waren zu Beginn der Studie durchschnittlich 57 Jahre alt.

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen soziale Kontakte für unsere emotionale und kognitive Gesundheit. Beziehungspflege ist somit eine lebenslange Aufgabe.

Knapp 5’000 Teilnehmer:innen erkrankten im Verlaufe der Studie an Demenz. Betroffene gehörten häufiger zu denjenigen Personen, die bereits zu Studienbeginn angaben, wenig soziale Kontakte zu haben oder sogar sozial isoliert zu sein. Hirnscans bestätigten dann, was die Forschergruppe bereits vermutete: Bei sozial isolierten Menschen ist das Volumen der grauen Hirnsubstanz in verschiedenen Hirnregionen geringer, die allesamt mit Lernen und Gedächtnis verknüpft sind. Menschen, die bereits zu Beginn der Studie wenige soziale Kontakte hatten, bauten zudem geistig schneller ab. Auch wurde herausgefunden, dass bei sozial isolierten Menschen gewisse Gene «heruntergefahren» werden, die für die Energieversorgung der Hirnzellen wichtig wären. Alles in allem ergab sich ein erhöhtes Demenzrisiko von 26 Prozent für sozial isolierte Menschen.

Soziale Kontakte sind wichtig

Es steht also ausser Frage, dass soziale Kontakte wichtig sind. Einerseits für die emotionale Empfindung aber auch für die mentale Fitness. Unabhängig davon, ob sich Menschen einsam fühlen oder nicht, verminderte soziale Kontakte oder gar soziale Isolation die Hirnaktivität und erhöht das Demenzrisiko. Ein unterschätztes Problem, wenn man in Betracht zieht, dass die Häufigkeit von sozialer Isolation und Einsamkeit in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.

Es bleibt zu resümieren, was wir mit diesen Informationen anfangen können. Auch wenn es die digitalen Technologien einfach scheinen lassen, ist die Aktivität der Beziehungspflege eine lebenslange Aufgabe. Gerade bei den Lebensabschnittsübergängen ist es eine Herausforderung, Kontakte zu halten oder neue zu knüpfen. Der Übertritt ins Pensionsalter, der Tod des Partners oder von Freunden kann soziale Isolation zur Folge haben. Hier wäre es wichtig, spezifische Angebote für Menschen in diesen Phasen anzubieten. Wie wäre es zum Beispiel mit einem wöchentlichen Kaffeetreff im Quartier? Egal, was wir tun, wir alle können dafür sorgen, dass alte (aber auch junge) Menschen mehr Möglichkeiten erhalten, regelmässige Kontakte zu anderen Menschen zu pflegen.

(MS)

 

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