Unsichtbar im Alter: Queere Menschen in Pflegeheimen | silberFuchs

Unsichtbar im Alter: Queere Menschen in Pflegeheimen

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Während die Sichtbarkeit von vor allem jüngeren LGBTIAQ+-Menschen in der Gesellschaft zunimmt, bleiben queere Personen im Alter noch weitgehend unsichtbar. In diesem Artikel beleuchten wir das Tabu-Thema und geben Tipps für einen achtsameren Umgang für Angehörige und Pflegende.

In der Schweiz leben schätzungsweise 1,2 Millionen LGBTIAQ+-Menschen. Mehr als 8 Prozent von ihnen gehören der Babyboomer-Generationen (geboren zwischen 1950 und 1964) oder früherer an. Viele dieser Menschen sind auf Pflege angewiesen, doch Pflegeeinrichtungen sind oft nicht auf ihre speziellen Bedürfnisse vorbereitet.

Auch wenn es für die jüngeren Generationen kaum mehr vorstellbar sein mag: Viele ältere, queere Menschen mussten in ihrem Leben ihre sexuelle oder romantische Orientierung geheim halten und konnten sie möglicherweise nicht offen leben.

Dieses verstecken Müssen und die erlebte Diskriminierung prägen ihre Lebensgeschichten und können Auswirkungen auf ihre körperliche und psychische Gesundheit haben. Von Betreuenden in den Alters- und Pflegezentren erfordert dies einen sensiblen und achtsamen Umgang mit Themen zur Lebens- und Beziehungsgestaltung von queeren Menschen.

Infobox

LGBTIAQ+ steht für die englischen Begriffe lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex, asexual or aromantic, queer und alle weiteren sexuellen und geschlechtlichen Identitäten.

Obwohl nicht alle LGBTIAQ+-Personen sich selbst als «queer» bezeichnen, verwenden wir aus Gründen der Lesbarkeit des Artikels den Begriff ‘queer‘.

Schutz vor Diskriminierung als Hauptbedürfnis

In ihrem Leben standen und stehen queere Menschen oft vor ähnlichen körperlichen und mentalen Herausforderungen wie andere auch, jedoch kommen in der Pflege spezifische Probleme hinzu, mit denen Pflegekräfte und Angehörige konfrontiert werden. Dazu gehören systematische Diskriminierung und Gewalterfahrungen.

Viele haben im Laufe der Zeit Diskriminierung durch Mitmenschen und staatliche Institutionen erfahren, was ihr Vertrauen in öffentliche Einrichtungen stark beeinträchtigt. Eine Pflegeeinrichtung bietet für sie wenig Schutz: sie überlassen sich fremden Menschen bei der Pflege, teilen sich Alltagsräume mit anderen Patient:innen und haben kaum Rückzugsmöglichkeiten, in denen sie sich mit ihrer sexuellen Identität sicher fühlen können.

Manche von ihnen bringen ihre:n Partner:in mit, manche verlieben sich im Pflegeheim neu, andere wollen vielleicht einfach nur aus ihrem Leben erzählen und diesen wichtigen Teil nicht aufgrund von Angst erneut verstecken müssen. Aus diesem Grund ist das Bedürfnis nach sogenannten Safe Spaces besonders gross: Das sind Orte, an denen sie sich vor der Mehrheitsgesellschaft zurückziehen können, um erneuter Diskriminierung zu entgehen.

Auch benötigen sie eine sensibilisierte Betreuung in Bezug auf spezifische Gesundheitsfragen, wie etwa die angemessene Ansprache von Transpersonen oder den Umgang mit HIV. René Kirchhoff von der Aidshilfe Düsseldorf hebt in einem Interview hervor, dass Pflegekräfte oft nicht ausreichend über moderne Standards im Umgang mit HIV informiert seien, was zu re-traumatisierenden Erfahrungen führen könne. Daher ist es entscheidend, dass Pflegekräfte sensibilisiert werden, um den spezifischen Bedürfnissen queerer Menschen gerecht zu werden, sei es in der Kommunikation, der Gesundheitsversorgung oder der sozialen Integration.

Gemeinsam in der Pflege gegen Diskriminierung

Um auf Diskriminierung und gesundheitliche Nachteile in Alters- und Pflegeheimen aufmerksam zu machen, haben das Institut New Work (Departement Wirtschaft) und das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule eine Broschüre erstellt. Diese Broschüre richtet sich an die Bedürfnisse von LGBTIAQ+-Bewohner:innen und bietet Leitlinien, wie Mitarbeitende in Alters- und Pflegeheimen diese Bedürfnisse besser verstehen und darauf reagieren können. Konkret werden sechs Handlungsansätze definiert:

Diskriminierung reduzieren

Um ein inklusives Umfeld zu schaffen, sollten Alters- und Pflegeheime klare Richtlinien zur Vermeidung von Diskriminierung einführen und eine gut erreichbare Anlaufstelle bieten.

Kompetenzvermittlung und Sensibilisierung der Mitarbeitenden

Da queere Themen oft nicht Bestandteil der Ausbildung in Gesundheitsberufen sind, ist es wichtig, das Personal gezielt weiterzubilden. Dies kann durch Schulungen in inklusiver Sprache und anderen relevanten Themen geschehen.

Sichtbarkeit

Alters- und Pflegeheime sollten deutlich machen, dass die Inklusion queerer Menschen zu ihren Grundwerten gehört. Dies hilft, ein Umfeld zu schaffen, in dem queere Personen wissen, dass Diskriminierung nicht geduldet wird und sie willkommen sind.

Personenzentrierte Pflege

Es ist entscheidend, dass Pflegefachpersonen die individuellen Bedürfnisse queerer Menschen erkennen und respektieren. Dabei ist ein vertraulicher und respektvoller Umgang mit persönlichen Informationen besonders wichtig.

Angebotsgestaltung

Um den Umzug in ein Pflegeheim für queere Menschen angenehmer zu gestalten, sollten deren Interessen und sozialen Bedürfnisse in den Betreuungs- und Beschäftigungsangeboten berücksichtigt werden.

Angehörigenarbeit

Die Unterstützung von queeren Lebensrealitäten erfordert, dass verschiedenste Beziehungs- und Familienformen anerkannt werden. Dazu gehört auch die Berücksichtigung von Partnerschaften und Wahlfamilien, die nicht der traditionellen heteronormativen Struktur entsprechen.

Best Practices und Beispiele

Einige Pflegeheime haben bereits Massnahmen ergriffen, um LGBTIAQ+-freundliche Programme zu implementieren. Dazu gehören Sensibilisierungsworkshops, in denen Pflegekräfte geschult werden, um die Bedürfnisse von queeren Personen besser zu verstehen. Zusätzlich werden Safe Spaces eingerichtet, die als sichere Rückzugsorte dienen und spezielle Programme wie Jazzkurse oder Frühstückstreffen für queere Menschen anbieten. Darüber hinaus fördern diese Einrichtungen queere Kultur, indem sie mehr queere Bücher und Filme bereitstellen, um die reiche Kultur und Geschichte der LGBTIAQ+-Community zu würdigen.

Queer altern (in) Basel

Ein gutes Beispiel für die Unterstützung älterer LGBTAIQ+-Personen ist der Verein ‘queerAltern‘ mit Sitz in Zürich und Basel. Er spielt eine zentrale Rolle dabei, die besonderen Bedürfnisse alternder queerer Menschen zu verstehen und anzugehen. Der Verein fördert das soziale Leben, engagiert sich für queer-gerechtes Wohnen und Pflege, und unterstützt durch Veranstaltungen und Workshops die queere Politik. Als Drehscheibe zwischen Bevölkerung, Institutionen und Verwaltung vermittelt queerAltern Fachwissen und bietet Beratung an. Mitglieder haben die Möglichkeit, aktiv an den Bestrebungen zur Verbesserung der LGBTAIQ+-Lebensweise im Alter mitzuwirken oder sich als Passivmitglied über Fortschritte informieren zu lassen.

Vereint in Menschlichkeit

Die Integration und Unterstützung von LGBTAIQ+-Personen in Pflegeheimen ist ein fortlaufender Prozess, der Sensibilität, Bildung und gesetzliche Unterstützung erfordert. Unser Artikel versucht aufzuzeigen, dass Fortschritte möglich sind. Initiativen wie queerAltern, die Broschüre des Instituts New Work und des Departements Gesundheit sowie Programme in einigen Pflegeheimen zeigen, wie eine inklusive Pflegeumgebung geschaffen werden kann. Durch Schulungen, spezifische Angebote und die Anerkennung verschiedener Lebensformen können Pflegeeinrichtungen zu einem Ort werden, an dem sich alle Bewohner willkommen und akzeptiert und sicher fühlen können. Denn dieses Bedürfnis teilen wir alle.

(SR)

 

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